Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 38 – Sonntag, den 16. September 1928, S. 2.
Einst lebte in der Bergstadt Ehrenfriedersdorf ein junger Bergmann, namens Oswald Barthel, des alten Bergmanns Michael Barthel Sohn, der von seinen Vorgesetzten so geschätzt war, daß ihm der reiche Obersteiger Baumwald seine einzige Tochter Anna verlobte. Nun sollte er im tiefen Stolln „Gutes Glück” im Sauberge anfahren, um einen Durchschlag zu machen, welches wegen des entgegenstehenden Wassers unter die gefährlichsten Arbeiten des Bergbaues gehört. Er und diejenigen seiner Kameraden, welche die Reihe hierzu traf, traten nun, nachdem sie zuvor mit ihrem Steiger gebeichtet und das heilige Abendmahl genommen, am Tage St. Katharinä im Jahre 1508 die Fahrt mit einem herzlichen Glückauf! an. Als sie an dem gefährlichen Punkte angekommen waren, ward die Arbeit sofort in rolliger, sehr gebrechlicher Bergart betrieben und das Einstürzen der Firste durch Zimmerung verhütet. Die Last war groß, die auf dieser Zimmerung ruhte, und als der Steiger, etwas zurückstehend, eben eine Anordnung treffen wollte, hörte er ein heftiges Krachen in der Firsten-Zimmerung und im nächsten Augenblick ein gleiches. „Brüder, rettet Euch!” rief er schnell, „es macht einen Bruch!” Diesem Rufe folgten alle in der größten Eile, nur Oswald, der jüngste und rascheste von allen blieb auf eine bis jetzt unbegreiflich gebliebene Weise zurück und wurde verschüttet. Zwar gab man sich die unsägliche Mühe, den armen Oswald zu retten, und immer neue Arbeiter lösten die bereits ermatteten ab, aber vergebens, es brach immer mehr nach und der Unglückliche ward nicht wieder gefunden. Als nun aber die Braut des armen Bergmanns die furchtbare Kunde vernahm, sank sie zuerst in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie nur wieder erwachte, um in eine tödliche Krankheit zu verfallen. Zwar besiegte ihre Jugendkraft dieselbe und sie ward dem Leben erhalten, allein als sie nach ihrer Genesung zum ersten Male wieder das Gotteshaus betrat, da brachte sie am Altar der hochheiligen Mutter des Herrn das Gelübde, ihrem Oswald treu zu bleiben und ihr Leben lang Jungfrau zu bleiben; dann hing sie ihren Brautkranz mit eigner Hand unter den Totenkränzen in der Kirche auf und lebte in tiefster Stille, den Segen der Armen verdienend. – So gingen denn seit jenem Unglückstage viele Jahre dahin und zuletzt waren nur noch die jungfräuliche Braut, sowie drei Bergleute, Balthasar Thomas Kendler, Andreas Reiter der ältere, beide in Ehrenfriedersdorf, sowie Simon Löser, in Drebach wohnhaft, von allen denen übrig, die damals das unglückliche Ereignis mit angesehen hatten. Da fügte es sich, daß in Brünlers Fdgr. am Sauberge ein Stolln bewältigt wurde, und als man in die siebente Lachter im rolligen Gebirge fortgerückt war, stieß man auf einen in der Erde liegenden menschlichen Körper, der noch in seinen unverwesten Kleidern dalag. Mit vieler Mühe machte man ihn von seiner drängenden Umgebung frei und schaffte ihn nach dem Tageschachte, da brach dieser harte Leichnam mitten auseinander und man konnte ihn also nur in zwei Stücken heraufwinden. Diese Begebenheit wurde sogleich dem damaligen Bergmeister Valentin Feige gemeldet, welcher den Geschworenen Thomas Langer rufen und die obengenannten Greise an Bergamtsstelle bescheiden ließ. Diese Männer sagten nun aus, daß sie sich noch wohl erinnerten, wie einst in der Zeit ihrer Jugend, vor 60 Jahren, ein junger Bergmann, namens Oswald Barthel, in der Gegend, wo der Leichnam jetzt gefunden worden, so verfallen sei, daß ihn niemand habe retten können. Und als man nun den Leichnam brachte, erkannten sie ihn als den Verschütteten. Dieses Wiederfinden geschah am 20. September 1568, so daß der Verschüttete 60 Jahre 9 Wochen und 3 Tage in der Erde gelegen hatte, als man ihn wiederfand, worauf er am 26. desselbigen Monats mit einem feierlichen Leichenbegängnis wieder zur Erde bestattet wurde, welche ihn schon so lange umschlossen gehabt hatte. Der Leichenzug bestand aus Tausenden, die herbeigekommen waren, um dem so wunderbar Wiedergefundenen das letzte Geleite zu geben. Als die Leiche eingesenkt werden sollte, eilte auch die treugebliebene Braut herbei und sprach den Wunsch aus, ihrem Bräutigam bald folgen zu können, und nach wenigen Tagen ward ihre Hoffnung auch erfüllt. In der Gedächtnispredigt, welche der damalige Ortspfarrer M. Georg Raute hielt, sagte derselbe am Eingange, es sei eine wundersame Mär, daß er, der Pfarrer, der schon im 31. Jahre stehe, heute einer Leiche die Gedächtnispredigt halte, welche schon 30 Jahre vor seiner Geburt gestorben sei. Als Oswald verschüttet ward, herrschte in Ehrenfriedersdorf noch das Papsttum, als er begraben ward, hatte dasselbe schon längst der Reformation weichen müssen. Noch heute heißt aber die Hauptzusammenkunft der Bergknappschaft zu Ehrenfriedersdorf, die zugleich eine Begräbnis-Brüderschaft ist, und welche am Montag nach Ostern abgehalten wird, zum Andenken an obige Begebenheit die lange Schicht.
Nach einer andern Überlieferung, welche Dietrich erzählt, lebte von den einstigen Kameraden Oswalds, als man seine Leiche wieder auffand, nur noch einer, der alte Balthasar. Oswald aber wurde von der Verwesung noch unversehrt, in seinem Grubenkittel, lederner Bergkappe, desgleichen mit seinem Gezäh (Werkzeug), seiner Unschlittasche und dem Zscherper wiedergefunden, ohne daß er beim Heraufwinden in zwei Stücke zerbrach. Als das Leichenbegängnis beendet war, wankte Oswalds Braut, Anna, geleitet von dem Bergmeister und dem Pfarrer in ihre Wohnung zurück. Hier bat sie, daß man ihr den Brautkranz aus der Kirche wieder gebe, und ihre Bitte ward gewährt. Am nächsten Sonntagsmorgen genoß sie in der Kirche öffentlich das Abendmahl des Herrn, die längst vertrocknete Myrthenkrone im Silberhaar; dem alten Balthasar aber mußte man die heilige Spende zum Krankenlager bringen, denn ein Schlagfluß hatte ihn darniedergeworfen und seine Auflösung war nahe. An diesem Sonntage noch ging mit der Himmelssonne auch der treuen Anna Lebenssonne unter, und um Mitternacht folgte ihr Balthasar nach. Es wurden diese beiden an einem Tage begraben. Oswald und Anna ruhen in einem Grabe, des treuen Freundes Balthasars Grab aber war nahe an Oswalds Seite, und tausende von Tränen weihten ihre stillen Ruhestätten.