Aus der Sagenwelt des Erzgebirges.

Die Entstehung des Freiberger Bauernhasen.

Freiberg ist Sachsens älteste und hervorragendste Bergstadt. Schon um das Jahr 1163 hat man begonnen, die reichen Silbererze der dortigen Gegend bergmännisch zu gewinnen. Die Gründung der Stadt fällt in das Jahr 1175. Ihr Name erinnert an die vielen „Freiheiten“, mit denen sie schon von Anfang an ausgestattet war, denn

„Bergwerk will stets ein Freies han,
Soll es anders von statten gahn.“

Wie groß in den ersten Jahren der Ertrag an Silber gewesen ist, läßt sich heute nur schätzen. Daß aber die Ausbeute ganz bedeutend war, ist daran zu ermessen, daß beispielsweise in dem Zeitraum von 1524 bis 1850 gegen zwei Millionen Kilogramm Silber von den Freiberger Gruben geliefert worden sind.

Mit dem wachsenden Reichtum der Bürger und der verbesserten Lebenshaltung erwachte bei ihnen auch der Sinn zur schöneren Ausgestaltung des ganzen Gemeinwesens. Von Friedrich dem Freidigen (d. h. dem Kühnen, gest. 1324), wird erzählt, daß ihm Freiberg die liebste seiner Städte gewesen sei. Darum war er häufiger Gast in der festen und schönen Stadt.

Bei einem seiner Besuche gab er den vornehmsten Bürgern ein großes Gastmahl.

Zu den Gästen gehörte auch Bruno, der Abt des Barfüßerklosters, ein stattlicher Herr, dem man es ansah, daß er sich das Himmelreich nicht mit Fasten und schlaflosen Nächten verdienen wollte. Gleichwohl predigte er Mäßigkeit im Essen und Trinken und hielt darauf, daß alle von der Kirche vorgeschriebenen Fasttage gewissenhaft eingehalten wurden.

Auch auf dem Gastmahl des Markgrafen hatte der Abt tapfer seinen Mann gestanden in der Bewältigung von Braten und Wein, und mehr als einer der Tischgenossen beneidete den fleißigen Herrn um seinen gesegneten Hunger und seinen unstillbaren Durst.

Eben brachte Bauer, der Hofkoch, auf langer, zinnerner Platte einen prächtig angerichteten Hasenbraten herein zu den schmausenden Tafelgästen. Der Markgraf, dem das leckere Gericht zuerst angeboten wurde, ergriff vergnügt die kleine Silberschaufel, um von dem duftenden Fleisch zu nehmen, da schlug die neumodische Räderuhr an der Wand die Mitternachtsstunde.

Wenige hatten auf den hellen Klang des Uhrglöckleins geachtet, um so schärfer aber der Abt.

„Haltet ein, Euer Gnaden, es ist soeben ein Fasttag angebrochen; Ihr wollt doch nicht wider die Gebote unserer heiligen Kirche sündigen?“ rief er.

Der Markgraf war geneigt, die Entrüstung des wohlgenährten Herrn nicht für ganz echt zu halten. So sagte er scherzend: „Sollte denn die Sünde wirklich so groß sein, wenn wir zum Schluß noch ein Stücklein Fleisch verzehren?“

„O,“ entgegnete der Abt, „unsere heilige Kirche schreibt für den eben angegangenen Tag völlige Enthaltsamkeit von allem Fleisch vor, und es steht uns wohl an, unseren Schäflein mit einem guten Beispiel voranzugehen! Ich bitte Euer Gnaden demütiglich, daß Ihr nicht Aergernis geben wollet mit sündhaftem Verlangen nach neuem Hasenbraten!“

Die Tafelnden blickten bald den Markgrafen, bald den frommen Fastenprediger an, und manchem schwebte ein giftiges Wort auf der Zunge. Aber man bezwang sich, und auch der Markgraf fügte sich. Er mußte wohl oder übel dem Koch den Befehl geben, den Braten zu entfernen. Mißmutig gehorchte Bauer. Im Hinausgehen warf er einen bitterbösen Blick nach dem scheinheiligen Mäßigkeitsapostel.

Einige Zeit später fand wieder einmal im großen Saal der Burg von Freiberg ein Gastmahl statt, zufällig wieder am Abend vor einem Fasttag. Der Schmaus zog sich in die Länge, aber um Mitternacht hörte, da der sittenstrenge Abt mit an der Tafel saß, der Fleischgenuß auf.

Da erschien plötzlich in der Tür der unverbesserliche Hofkoch mit seiner Zinnplatte, auf der knusprig braun gebrannt und in schönen Linien gespickt ein Hasenbraten ruhte. Mit scharfem Auge erkannte der Abt, daß dem Seelenheil der ganzen Gesellschaft große Gefahr drohte. Um aber eine Gefahr, die aus der markgräflichen Küche heranzog, ein für allemal abzuwenden, hielt er dem Koch eine sehr erbauliche Strafpredigt über das rechte Verhalten eines Christenmenschen im allgemeinen und über Völlerei und Unmäßigkeit im besonderen.

Der Hofkoch ließ das Ungewitter ruhig über sich ergehen, wie es sich für einen wohlerzogenen Diener des Markgrafen geziemte. Als aber der Abt sein salbungsvolles „Amen“ geschmettert hatte, da sagte Bauer mit gut geheuchelter Demut:

„Mit Verlaub, Herr Abt, aber diesen Braten würde unser Herr und Heiland selbst nicht verachten, und auch unser gnädigster Herr Markgraf wird nicht Schaden an seiner Seelen nehmen, wenn er sich ein Stücklein zulangte.“

Damit hielt er seinem Herrn die zinnerne Platte hin, Friedrich schnitt den Braten durch – da schimmerte es ihm schön weiß entgegen, und nun erkannte er, daß der vermeintliche Hase nicht echt, sondern nur ein Gebäck war, dem der listige Koch die verdächtige Form gegeben hatte!

Da wurde nun weidlich gelacht, und der Abt mußte es sich gefallen lassen, nicht nur für den weiteren Verlauf des Gastmahls, sondern auch für Jahre die Zielscheibe von allerlei Spottreden abgeben zu müssen. Ja, die Freiberger nannten das Gebäck, das die einheimischen Bäcker selbstverständlich nachahmten, Bruno-Hasen zur Erinnerung an den lustigen Streich, der dem Abt gespielt worden war. Der Name freilich wandelte sich im Laufe der Jahre in den treffenderen: Bauerhasen. Und so heißt das Gebäck heute noch.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 37 – Sonntag, den 12. September 1926, S. 3