Eine Schulstube vor ca. 150 Jahren.

Wie anders die Einrichtung, wie anders der Unterricht, der in ihr erteilt, wie anders die Zucht, die in ihr geübt wird, wie anders der ganze Geist, der in ihr waltet, wenn wir einen Vergleich mit der Gegenwart anstellen!

Ostern naht! Es naht die „strenge Schule!“

Die Gesundheitspflege hat man in ihrer hohen Bedeutung noch nicht erkannt. Fußboden, Wände, Decke sollen glatt und ohne Ritzen und Fugen sein, damit der böse Schulstaub sich leicht entfernen lasse, sich überhaupt möglichst wenig festsetze. Das Tageslicht, das wir heute gern ins Schulzimmer fluten lassen, es muß sich durch kleine in Blei gefaßte Butzenscheiben seinen Eingang erkämpfen. Besondere Lüftungseinrichtungen vermögen wir auf dem Bilde nicht wahrzunehmen. Die sich öffnende und schließende Stubentür und der mächtige Kachelofen in der Ecke, der, wenn in ihm das Holz knistert und prasselt, die kalte Luft des Zimmers an sich saugt, werden wohl allein die Lüftung zu besorgen haben; selbst die Fenster dürften selten offen stehen. An eine Kleiderablage außerhalb des Schulzimmers ist nicht gedacht. Wie unzulänglich erscheinen weiter die Sitz- und Schreibgelegenheiten für die Kinder! Keine Subsellien, bestehend aus Sitzbank und davor feststehendem schrägen Schreibpult, beide in Höhe und Breite und Abstand voneinander bis auf Zentimeter den verschiedenen Altersstufen angepaßt, sehen wir. Keine bequemen Rückenlehnen: die dauernd auf der Ofenbank ihren Sitzplatz habenden Kleinen und die mit ihnen eine Unterrichtsgruppe bildenden zurückgebliebenen Größeren suchen an der Wand des Kachelofens eine Stütze für den Rücken. Auf massiver Holzbank ohne Lehne sitzen die Kinder, wenn sie schreiben, an einer niedrigen Tafel mit wagerechter Platte, auf die sie auch die schwere Bibel und das dicke Gesangbuch, beim Lesen darin, legen. Größere und Kleinere dabei bunt durcheinander gewürfelt! Glücklicher Weise besitzt die Tafel eine Fußstütze, die übrigens auch an der Bank beim Ofen nicht völlig mangelt. Durch peinliche Ordnung wird das Auge nicht erfreut. Das Einzige, wodurch der kahle Raum verschönt wird, ist der Blumenstock, der beim Pulte des Lehrers in der Fensternische blüht.

Worin sie Unterricht empfangen, die derben, stämmigen Jungen, mit ihren treuherzigen Gesichtern, die lieben zarten Mägdelein, das eine sicher wenig über 5 Jahre alt, die freilich etwas gelangweilt dreinschauen? Wir können es zwar nicht hören, aber wir vermögen es uns zu denken, wenn wir die schulgesetzlichen Bestimmungen jener Tage kennen, in die uns das Bild versetzt. Als Hauptaufgabe wird die sittlich-religiöse Bildung der Jugend angesehen und daneben die Uebermittelung von für das praktische Leben wichtigen Kenntnissen und Fertigkeiten. So bildet den Kern und Stern des Unterrichtes der Religionsunterricht. Aber es wäre verkehrt, wollte man annehmen, daß es sich bei demselben nur um das Einprägen starrer toter Dogmen gehandelt habe. Was der Moralunterricht in der Jetztzeit erstrebt, erstrebte man nicht minder vor anderthalb Jahrhunderten, aber man war mit Recht überzeugt, daß lebendige Sittlichkeit in allen Lebensverhältnissen auf dem Boden gläubiger Hingabe an Gott erwächst, daß dazu das leuchtende Beispiel der Erzieher in Haus und Schule kommen, daß in der Lektüre auf edle Vorbilder hingewiesen werden müsse, daß die Schüler sich gegenseitig zu erziehen hätten und daß, last not least, Selbstprüfung und Selbsterziehung bei der Jugend früh einzusetzen habe. – Eine wichtige Stelle spielte ferner der Unterricht in Gesang. Ja, nach Bestimmung der sächsischen Schulordnung von 1773 konnte sogar in den deutschen Schulen, unseren heutigen Volksschulen, Klavierunterricht erteilt werden, allerdings nur an solche Knaben, die Lust und Zeit dazu besaßen und sonderlich an solche, die sich später als Lehrer für den Kirchendienst vorbereiten lassen wollten. Und vorausgesetzt wurde ferner, daß diese Unterweisung außerhalb der für alle verbindlichen Stunden – an 4 Tagen 6, vorm. von 6-9 Ugr bez. von 7-10 Uhr und nachmittags von 12-3 Uhr, Mittwochs und Sonnabends 3 Stunden vormittags nur – stattfinde. Die Kenntnis der Noten und das Singen danach war den Knaben beizubringen, welche aus der deutschen in eine lateinische Schule überzutreten gedachten und „ins Chor“ gehen wollten. Hieraus erklärt sich das Klavier auf unserem Bilde, daraus erklären sich Geige, Notenpult und aufgeschlagene Notenhefte vor dem Klavier. – Als wichtigster Unterrichtsgegenstand neben Religion galt das Lesen, wozu sich noch Schreiben – Schönschreiben und Rechtschreiben – gesellten: Stilübungen fehlten, doch suchte man den Bedürfnissen des späteren praktischen Lebens entgegenzukommen, indem die Schulkinder Briefe, Rechnungen, Quittungen abschreiben mußten, was freilich nicht ausreichte, später selbständig Briefe zu „dichten“. Selbstredend wurde schließlich das Rechnen nicht übersehen. Darüber hinaus gehend, fordert die Sächs. Schulordnung von 1773, den größeren Schulkindern möge das Leichteste, Nützlichste und Nötigste aus der Erdbeschreibung, aus der geist- und weltlichen Geschichte, hiernächst etwas von der Stadt- und Landwirtschaft, von den gewöhnlichsten und nötigsten Handwerken, von geistlichen und weltlichen Ämtern, von den Kirchen- und Landesgesetzen, von dem Gebrauche des Kalenders, der Zeitungen und Intelligenzblätter auf anziehende, angenehme Weise geboten werden.

Die Zucht in der Schule war hart: es fehlte noch der Geist Pestalozzis. Nicht bloß bei vorangegangener fruchtloser Anwendung leichterer Strafmittel, nicht nur bei frecher Widersetzlichkeit und bei Begehung grober Unsittlichkeit, für welche Fälle das Schulgesetz von 1873 noch die körperliche Züchtigung erlaubt, wurde zu körperlicher Züchtigung geschritten, sondern auch dann wurde zugeschlagen, wenn Verstand und Gedächtnis der Schwachen versagte. Dabei wurde die körperliche Züchtigung nicht selten mit einem gewissen Raffinement ausgeübt, indem man die armen Schulkinder auf die Schienbeine schlug oder nach der Züchtigung, die Strafe verschärfend, sie in die Ecke knien ließ, wie unser Bild es zeigt, knien manchmal sogar auf Erbsen. Auch Strafen, durch welche die Kinder dem Gespött ihrer Schulgenossen preisgegeben wurden – die Kinder bekamen „die Fidel“ zu tragen, es wurden ihnen Eselsohren aufgesetzt u. drgl. – gehörten nicht zu den Seltenheiten. – Auf unserem Bilde, das uns den Lehrer mit dem Stocke in der Hand zeigt, scheint es sich um ein Strafgericht wegen vorgekommenen Unfugs zu handeln, und was uns lieb ist, nicht um Züchtigung wegen mangelhafter schulischer Leistungen.

Auf das ernstlichste kämpft in Sachsen die Schulordnung von 1773 gegen eine unangemessene Handhabung der Zucht sowohl bei den höheren wie bei den niederen Schulen an. Sie mahnt zu Liebe, Freundlichkeit, Sanftmut und Geduld, sie warnt, in der Strafe nicht Heftigkeit, Zorn, Bitterkeit walten zu lassen, auch nicht zu schimpfen und zu schreien. Sie verbietet, in den Fürstenschulen von den Knaben „die Fidel tragen“, sie hungrig in der Ecke kniend „carieren“ und so zusehen zu lassen, wenn die anderen das Essen einnehmen. Verboten wird, mit „dem Stecken“ die Schüler auf den Kopf zu schlagen. Nur mit der Rute soll gezüchtigt werden, doch auch mittels dieser ausschließlich auf die Hände und den Rücken, niemals auf Haupt, Backen, Nase, noch sonst in das Gesicht, noch auf den Leib, noch auf die Schienbeine, dabei so selten als nur möglich, und wenn irgend angängig, nach geendeter Lehrstunde. Ebenso bestimmt fordert die Ordnung: „Bei den Haaren sollen die Kinder nicht geraufet, viel weniger hin und her gezogen oder gar geschleppt werden“. Die vorgesetzte Behörde tat ihre Pflicht, wie viele unter den Lehrern konnten sich jedoch trotzdem nicht beherrschen! Und es waren das nicht immer die Untüchtigsten.

Das Strafgericht, das auf unserem Bilde im Mittelpunkte steht, gibt dem ganzen ein humoristisches Gepräge. In der Wirklichkeit indes handelte es sich bei derartigen Strafgerichten in der Schule zumeist um recht bitteren Ernst. Gar nicht spaßhaft ist dem kleinen Bösewicht zu Mute, den wir in der Ecke knien und die Stelle mit der Hand berühren sehen, da ihm der Stock weh getan hat. War es das erstemal, war es das letztemal, daß er Bekanntschaft mit dem Stocke machte? Wollen wir das letztere hoffen!

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 16 – Sonntag, den 17. April 1927, S. 1