Kreuz und quer durch Schlettaus Geschichte.

Von N. N.

Wie schon die Ueberschrift besagt, wird es im folgenden recht bunt zugehen. Es ist gleichsam ein „Leipziger Allerlei“, das ich meinen lieben Lesern auftische. Aber es wird unterhaltsam sein. Und das ist doch wohl die Hauptsache. Ich sehe schon im Geiste, wie sich Vater seine Pfeife stopft und anzündet, wie sich Mutter ihren Strickstrumpf oder ihre Näharbeit holt, wohl auch ihren Klöppelsack fertig macht, und wie sich die Kinder ihre Stühlchen und Schemel aus den verschiedenen Ecken des traulichen warmen Stübchens herbeiholen und sich um ihre Eltern scharen. Dann blättert Vater in seiner „Obererzgebirgischen“. Endlich hat er die Beilage gefunden und behaglich sein Pfeifchen schmauchend, liest er seinen Lieben vor:

Es sind gerade 200 Jahre her, nämlich im Jahre 1726, da erschien für ganz Sachsen, also auch für Schlettau, ein sogenanntes Raisonnierpatent.

Dies war eine gar strenge Verordnung. sie stellte jedem, der sich des „unzulässigen Raisonnierens“ schuldig machte, Gefängnisstrafe, Ausweisung, Festungsbau usw. in Aussicht. Damals mußte man also seinen Mund sehr im Zaume halten. Da gab’s kein Wenn und Aber, kein Kritisieren und Schimpfen, wenn die Obrigkeit etwas angeordnet hatte, wie es heute vorkommen soll. Die heute so selbstverständliche Redefreiheit schien damals noch unbekannt zu sein. Vater schaut seine getreue Ehehälfte schmunzelnd mit vielsagendem Blicke an und meint: „Es könnte garnichts schaden, wenn solch ein Patent auch bei uns eingeführt würde.“ Sie versteht ihn anfangs nicht. Als sie aber merkt, daß ihr Eheherr auf sie abgezielt hat, gibt sie ihm schlagfertig zurück: „Auch Dir könnte solche Verordnung garnichts schaden“, läßt sich aber in ihrer Arbeit weiter nicht stören.

Vater fährt fort mit dem Lesen:

Etwa noch 50 Jahre früher griff die Obrigkeit erheblich tiefer in das Tun und Lassen ihrer Untertanen ein. Meine Leser werden staunen, wenn sie von der Hochzeitsordnung vom Jahre 1673 hören werden. Diese bestimmte, daß Hochzeiten Sonnabends und Sonntags nicht abgehalten werden dürften, damit der Gottesdienst nicht vernachlässigt werde. Ferner sollte keine Hochzeit über 3 Tage dauern und das ungebührliche Schießen, Schreien usw. bei Einholung der „Kammerwagen“ unterbleiben.

Ferner wurde 1679 eine Polizeiverordnung erlassen, die nach den Angaben des Chronisten folgendes besagte:

„Leute unter 18 Jahren sollen sich alles Bret (Brett)- und Kartenspiels enthalten, ein Handwerksmann soll auf einmal nicht über 4 Gr. verspielen.“ Auch war festgesetzt, wie oft dies nur in einem Monat geschehen dürfte. Diese Verordnung wird wohl sehr nötig gewesen sein; denn nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Glücksspiel, wie zahlreiche Geschichtsschreiber übereinstimmend berichten, zu einer „wahren Seuche“ geworden. Dies hing zusammen mit der allgemeinen Verwilderung der Sitten. Auf bequeme und leichte Art, ohne zu arbeiten, wollte man sein Geld verdienen. Wo gelang dies besser, als am Spieltisch? Aber man konnte ebenso leicht Hab und Gut dabei verlieren, und dann fiel man der Stadt zur Last. Solche Fälle dürften damals häufig genug vorgekommen sein, und man kann es dem Rat nicht verdenken, wenn er sich dagegen zu schützen suchte.

Aber auch übermäßiger Putzsucht suchte der Rat zu steuern und erließ deshalb eine sogen. Kleiderputzordnung. Hierin wurde, wie der Chronist berichtet, folgendes verfügt: „Weibspersonen, außer des Rats, sollten keine gute, seidne Schaube, seidne Strümpfe, Schweife, so auf die Röcke herumgenäht, tragen, auch keine gute, sammtne Püffelmützen, Silber- und Goldspitzen, es sei gut oder leonisch zum Umgebind und Aufbrähmen. Viertelsmeister, Kirchenvorsteher und die eine gute Nahrung haben, dürfen Schauben von Florettseide, Cameelhärne Aufschläge, plüsch- und tippsammtne Püffelmützen tragen.“ Mansieht hieraus, welchen Luxus man damals mit seiner Kleidung trieb. Wahrscheinlich werden zu jener Zeit viele wenig bemittelte Leute sich in Schulden und Elend gestürzt haben, bloß um ihren besser gestellten Mitbürgern in der Kleidung gleich zu kommen. Die Stadt hatte sie dann, wie man zu sagen pflegt, am Hals, da sie verpflichtet war, diesen Leuten zu helfen. Also war diese Verordnung auch nur eine Abwehrmaßnahme, zugleich ein Mittel, solche Leute ohne Maß und Ueberlegung zur Vernunft zu bringen. Ohne Zwang geht’s nun einmal nicht in dieser Welt. So war es früher und ist es auch heute. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß der Rat diese Anordnung aus Schikane oder aus Herrschsucht oder um den höheren Ständen ein Vorrecht zu verschaffen „herausgesteckt“ hatte. Der Rat war auch damals viel zu gerecht und großdenkend, um sich von solchen Motiven leiten zu lassen, was seine sonstigen Anordnungen zur Genüge beweisen. Nur ein Beispiel dafür, wie der Rat auch für die sogen. kleinen Leute sorgte, vorausgesetzt, daß sie einen ehrbaren und frommen Lebenswandel führten. Vor mehr als 200 Jahren beschwerte sich nämlich der Schlettauer Rat bei der Bergverwaltung Schlettau mit Buchholz über die Entlassung eines Arbeiters aus Schlettau, namens Neumann, und forderte seine Wiedereinstellung, da er doch „nicht nur ein treuer Arbeiter, sondern auch ein fleißiger Bether (Beter)“ wäre. Man verhandelte hin und her, bis es endlich dem Rat gelang, seine Forderung durchzusetzen: der Arbeiter wurde wieder angenommen.

Ich erwähnte vorhin bei der Spielordnung, daß der Dreißigjährige Krieg eine allgemeine Sittenverwilderung zur Folge hatte. Sie hielt noch lange Zeit an, obgleich die Behörden mit eiserner Strenge und geradezu drakonischen Maßnahmen gegen sie einschritt. Haben wir nicht diese Erscheinung, wenn auch nicht in solchem Maße wie damals, ebenfalls nach dem Weltkrieg gehabt? Gehabt? Ist dem wirklich so? O nein, wir leben noch mitten in einer Zeit, die Sitte und Ordnung mit Füßen tritt. Schaut Euch nur die Jugend von heute an, auf der sich unsere Zukunft gründen soll! Es gibt ja Ausnahmen, Gott sei Dank, und die Ausnahmen mehren sich. Aber das Gros! Man könnte bitter werden, wollte man die Gedanken fortspinnen. Kommen wir zurück auf die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Ueberfälle, Räubereien, Mord und Totschlag waren damals an der Tagesordnung. Deshalb wurde 1675 angeordnet, so schreibt der Chronist, „daß 20 Mann aus Schlettau und 6 Mann aus Walthersdorf die Scheibenberger, Annaberger Höhe, Grumbacher und Jöhstädter Straße begehen und nach Räubern suchen sollten und, wenn sie verdächtige Streifer fänden, einander gewisse Losung geben, die Mannschaften verstärken und mit dem Glockenschlag verfahren.“

1683 befahl der Kreishauptmann des Erzgebirgischen Kreises, Haubold von Einsiedel auf Syra und Hopfgarten, daß „die Zollbereiter die Grenzen und Straßen fleißig bereiten und vom Gesindel säubern sollten.“

In dieser Zeit lagen zur Unterstützung und zum Schutz der Bewohner ständige militärische Kommandos in den Städten des Obererzgebirges, z. B. in Schlettau 4 Soldaten, in Elterlein und Grünhain je 5, in Scheibenberg 6 und in Buchholz 3.

(Schluß folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 30 – Sonntag, den 25. Juli 1926, S. 2