Magister Christian Lehmann aus Königswalde.

Christian Lehmann wurde am 11. November 1611 in Königswalde bei Annaberg geboren. Daß irrtümlicherweise am Grabmal der Scheibenberger Kirche steht, er sei in Elterlein geboren, findet seine Erklärung wohl darin, daß kurz nach seiner geburt sein Vater als Pfarrer nach Elterlein versetzt wurde. Hier in Elterlein wuchs der Knabe mitten in den unsäglichen Leiden des 30jährigen Krieges auf. Sein Vater sah sich oft genötigt, mit seinen lieben Pfarrkindern und seiner Familie die Flucht zu ergreifen. Wochenlang hielt man sich in der schreckhaften Wildnis des Waldes auf, wo Bären und Wölfe in der schlimmsten Weise hausten. Da während der Kriegsunruhen keine Jagden abgehalten wurden, so mehrten sich diese Tiere in erschreckender Weise. Wölfe in Scharen von 10-20 Stück kamen in die Dörfer und Städte und suchten hier vor den Fenstern und Türen ihre Nahrung, gierig verschlangen sie die Ueberreste von geschlachtetem Vieh, welche die Schweden auf die Gassen geworfen hatten. Hunde raubten sie ohne weiteres von den Ketten oder von der Seite ihrer Herren weg. Großen Schaden richteten sie unter dem Wildbestande an. Das arme Wild nahm seine Zuflucht in die Dörfer und Flecken und suchte hier bei den Menschen Schutz und Hilfe. In Scheibenberg sah man ganze Herden auf dem Gottesacker und in den nächstliegenden Grasgärten; aber auch hier waren sie nicht sicher, denn sobald die Schatten der Nacht das Erdreich bedeckten, kamen die heißhungrigen Wölfe, zerstreuten das Wild, rissen hier und da ein Stück nieder und fraßen es. Früh fand man dann einen blutigen Schlachtplatz neben dem anderen im weißen Schnee. Den Bewegungen der durchziehenden Heere folgten ganze Rudel und verschlangen, was an Menschen und Tieren tot liegen blieb. Sie verfolgten auch die armen Flüchtlinge und viele, namentlich wehrlose Kinder, fielen ihnen zum Opfer. Ebenso zahlreich und dreist wie die Wölfe waren die Bären geworden. Christian Lehmann erzählt uns in einer seiner zahlreichen Schriften, daß in den Wäldern um Scheibenberg und Elterlein nicht weniger als 60 alte Bären mit ihren Jungen gehaust hätten. Sie fielen über Menschen und Vieh her; sie brachen in die Gehöfte ein, so daß man nachts rings um die Hütten Feuer brannte, um die Tiere fernzuhalten. Aber nicht nur die Wölfe und Bären, auch Hunger und Durst und Kälte waren bei den Flüchtlingen keine seltenen Gäste.

Mitten in diesen unruhigen, entbehrungsreichen Zeiten wuchs der kleine Christian heran. Als er 10 1/2 Jahr alt war, brachte ihn sein Vater auf die Fürstenschule zu Meißen, wo er bis zum Jahre 1625 blieb. Er war ein außerordentlich begabter und fleißiger Schüler. Auf Wunsch seines Vaters erhielt er weiteren Unterricht in Halle. Nachdem er die Pest glücklich überstanden hatte, siedelte er 1628 nach Guben in der Niederlausitz über, und von hier aus begab er sich infolge der Kriegsunruhen nach Norddeutschland, nach Stettin. Dort besuchte er zunächst die Stadtschule, später das Gymnasium. Wann und wo Christian Lehmann seine Studien gemacht hat, läßt sich nicht ermitteln. Fest steht wieder, daß er im Jahre 1632 bei einem pommerschen Pfarrer Hauslehrer war. Im folgenden Jahre wurde er vom Konstistorium zu Dresden als Hilfspfarrer nach Elterlein berufen. Warum brauchte Elterlein jetzt einen Hilfsprediger? Um die Weihnachtszeit des Jahres 1632 hatten die Schweden in Scheibenberg gehaust, am Weihnachtsheiligabend quartierten sie sich in Elterlein ein. Hier blieben sie bis zum 27. Dezember und „fraßen und soffen“, wie Christian Lehmann schreibt, während die Elterleiner Bürger die Wache übernehmen mußten. An der Straße von Scheibenberg nach Schlettau ist ein Stein zu sehen, der die Stelle bezeichnet, wo im 30jährigen Kriege ein schwedischer Offizier begraben worden ist. Gegen die Schweden in Elterlein rückten die Kaiserlichen vor, die sich im Schlettauer Wald verschanzt hatten. Das Schwedenheer wurde von dem kaiserlichen General Holck geschlagen und suchte sein Heil in eiligster Flucht. Die Kaiserlichen verfuhren überaus grausam und unmenschlich mit den Elterleinern. 18 Bürger wurden in tierischer Weise hingemordet, 43 andere tödlich verwundet. Der Oberst des Regiments hieb dem ergrauten Stadtrichter ein Stück aus der Hirnschale heraus, daß man zwei Finger in die Vertiefung legen konnte. Der Arme blieb drei Tage unverbunden und ist dennoch wieder genesen und hat ein hohes Alter erreicht. Auch die Pfarre wurde nicht verschont. Gerade an den protestantischen Geistlichen verübten die rohen Horden allerlei Bosheit. Der Vater unseres Christian wurde so mißhandelt, daß er 1 Monat lang außer Stande war, sein Amt zu verrichten. Der Hilfspfarrer Johann Teuchert suchte zu entfliehen. Beim Eingange in den Kirchhof traf ihn ein Säbelhieb, der ihm den Kopf bis auf die Nase spaltete. Noch jetzt wird auf dem Pfarrhofe zu Elterlein eine Stelle gezeigt, an der der Hilfspfarrer Teuchert erschlagen worden sei. Mit dem Morden ging eine furchtbare Plünderung Hand in Hand. „Was auch nur eines Pfennigs wert war, wurde mitgenommen“. Da es an Gefäßen mangelte, schlug man Löcher in das Eis auf Gassen und Straßen, füllte sie mit Bier und tränkte die Pferde. Getreide, Brot, Bibeln usw. wurden in der denkbar gemeinsten Weise verunreinigt. Nachfolger des erschlagenen Hilfspfarrers Johann Teuchert wurde der erst 21jährige Sohn des Pfarrers Theodosius Lehmann, unser Christian Lehmann.

Als der Vater 1638 wieder völlig genesen war, so daß er seinem Amte allein vorstehen konnte, erhielt Christian das Pfarramt zu Scheibenberg übertragen. Wenige Jahre darauf verlor er seinen geliebten Vater. Dieser hatte abermals vor den wütenden Feinden die Flucht ergreifen müssen. Er hatte sich nach seiner Vaterstadt Annaberg gewandt. Auf der Rückreise von dort rührte ihn am 27. Januar 1642 der Schlag, nicht weit von seiner geliebten Pfarrgemeinde, bei den Brünlasgütern zwischen Scheibenberg und Elterlein, hauchte der schwergeprüfte Mann sein Leben aus. Seine Erben haben sein Bildnis, mit einer Inschrift versehen, in dem Gotteshause zu Elterlein aufhängen lassen. Die Brünlasgüter sind sogenannte Einzelansiedlungen im Obererzgebirge. Der Einzelansiedler hatte vollständig freie Hand, sich anzubauen, wo es ihm gefiel, sei es als Jäger, Wilddieb, Kohlenbrenner, Bergmann, Viehzüchter und Ackerbauer. Beispiele für Einzelansiedlungen sind die Tellerhäuser, die Vorwerke bei Oberwiesenthal, Buchholz und Annaberg.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 22 – Sonntag, den 30. Mai 1926, S. 3