Nachklänge zum Oberwiesenthaler Heimatfest.

Verrauscht sind die Tage des Oberwiesenthaler Heimatfestes, die vom 13. bis 15. August in der Stadt am Fichtelberge ein Hochfest der Heimattreue brachten. Tausende waren zu ihm heraufgezogen, um dort, wo ihre Wiege stand, wieder einmal sich zurückzuversetzen in die Tage der Kindheit, um noch einmal die Straßen und Gassen aufzusuchen, in denen sie mit Nachbarskindern gespielt und durch die sie den Ranzen der Schule getragen haben, bis die Palmarumglocken über den Tag ihrer Einsegung hinläuteten. „Vergaß dei Hamit net on ehr dei Mottersproch … Fest stieh zen Volk, dr Hamit trei, su woll’n mr Arzgebircher sei.“ Dies Wort Anton Günthers haben sie alle beherzigt, die zu den Fest-Tagen heraufgezogen kamen in das sangesfrohe, trauliche Oberwiesenthal, zur Rückschau auf vier Jahrhunderte seines Bestehens. Von weither zogen Alt und Jung heran. Die Feststadt hatte sich geschmückt. Diesmal zu eigener Veranstaltung. Denn vielfach tut sie es, um die Feste anderer würdig zu gestalten. Fahnen wehten, Girlanden waren gezogen. Jedes Haus, selbst das des Aermsten, zeigte irgendeinen grünen oder bunten Schmuck in schlichter Art des Obererzgebirglers. Die große Schar der Gäste wurde am Bahnhof von Festausschußmitgliedern und Musik begrüßt. Mit ihnen ging es zum Markt, dem Mittelpunkte all dies sinnigen Treibens. Und von da ins Quartier. Bei kühlem Wind, aber Sonnenschein, war’s am Sonnabend recht schön da droben.

Die Gruppe der Bergleute aus dem Festzuge beim Oberwiesenthaler Heimatfest.

Ein Heimatfest echt gebirgischer Art, ungekünstelt und ohne Prunk, aber von Herzen kommend und zum Herzen gehend, so war dasjenige Oberwiesenthals. Und Jeder nahm teil am Gelingen des Ganzen.

Noch einmal ziehen im Geiste all die Stunden vorüber, die während jener Festtage tief im Innern durchlebt und durchfühlt wurden. Noch einmal der Augenblick, als man vom Bahnhof eintrat in die Stadt und auf den Markt anlangte, dem so prächtig dekorierten. Dann überall das Wiedersehen, das Händeschütteln. Dort mit dem einen saß man auf der Schulbank zusammen, mit dem anderen trieb man Sport oder wanderte zur Sommerszeit hin durch Berge und Täler. Welche Erinnerungen tauchten da auf! Wie klangen die Gläser, als man dann im Kreise von Jugendkameraden beim Dämmerschoppen saß und sich ins Auge sah. Grau und silbern sogar waren die Haare geworden unterdessen. Wieviel hatte man doch erlebt! Einst war man noch Kind, jetzt wiegt man auf dem Schoße den Enkel. „Aus der Jugendzeit klingt ein Lied mir immerdar, o wie liegt so weit, was mein einst war.“ – Was würde man wohl geben, wenn jene Zeit noch einmal wiederkehren würde. Doch dahin für immer!

Der Wagen der Klöpplerinnen aus dem Festzuge beim Oberwiesenthaler Heimatfest.

Und darum eben sind solche Heimatfeste, wie Oberwiesenthal eines feierte, von unschätzbarem Wert. Doppelt und dreifach wohltuend in der Zeit des Materialismusses, in der wir leben. Maschinenmenschen sind wir geworden, vertechnikt bis dorthinaus, Sklaven unserer Hochkultur. Wir fliegen über die Ozeane, haben Radio und Radium; aber wo ist der Arzt unserer Seele? Spüren wir das alles nicht in Stunden, wie sie Oberwiesenthal durchlebte? In ausführlichen Berichten hat die „O. Z.“ in ihren Spalten niedergelegt, was die Tage des 13. bis 15. August am Fuße des Fichtelberges erbrachten, und auch bildlich wurde bereits manches zum Fest von uns an dieser Stelle veröffentlicht, was späteren Geschlechtern einst wertvoll für die Chronik Oberwiesenthals sein wird. Alledem fügen wir heute noch zwei bildliche Wiedergaben von Gruppen aus dem Festzuge bei, der aus Anlaß des Heimatfestes am Sonntag nachmittags stattfand. In interessanten Gruppen gab derselbe fesselnde Bilder aus Handel und Industrie, Handwerk und Gewerbe, aus der Entstehungsgeschichte Oberwiesenthals, aus dem Stadt- und Vereinsleben usw. wieder. Beistehend bringen wir zwei Gruppen zur Veröffentlichung, die für Oberwiesenthal von besonderer Bedeutung sind: diejenige der Bergleute und Klöpplerinnen, die da zeigen sollten, wie die Bergstadt Oberwiesenthal nach dem Erlöschen des Bergbaues sich allmählich zur Industriestadt entwickelte.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 32 – Sonntag, den 21. August 1927, S. 1