Der Krieg 1866.
Die Ursache des Krieges war bekanntlich die Nebenbuhlerschaft Oesterreichs und Preußens. Jeder der beiden Staaten strebte nach der Vorherrschaft in Deutschland. Ueber die näheren Vorgänge werden meine Leser unterrichtet sein. Ich erwähne nur, daß Preußen am 15. Juni 1866 an Hannover, Sachsen und Kurhessen ein Ultimatum stellte, nach dessen Ablehnung den 16. Juni preußische Truppen von allen Seiten in Hannover, Sachsen und Kurhessen einrückten. Der blutige Krieg war entbrannt. Er berührte auch die Stadt Schlettau, wenn auch nur in verhältnismäßig geringer Weise.
Am 20. Juni erging an den Stadtrat eine Verfügung der Königl. Landeskommission, die Militärleistungen betreffend, deren Ausführung die Bildung einer Deputation, bestehend aus dem Stadtrat August Schreiber, dem Stadtverordnetenvorsitzenden Ferdinand Schneider und dem Stadtkassierer Wilhelm Schreiber, am 21. Juni erforderlich machte. Diese Deputation hatte die Aufgabe, Erbsen, Hirse und Graupen anzukaufen, wofür ein Betrag von 100 Reichstaler zur Verfügung gestellt wurde. An demselben Tage faßte man noch den Beschluß über die Sicherung der Staatspapiere, die der Stadt gehörten, und über die Einrichtung einer Schutzwehr.
Am 9. Juli verfügte die Amtshauptmannschaft, „daß ein Verzeichnis des Viehbestandes hiesigen Ortes aufgenommen werden sollte, damit bei etwaigen Requisitionen seitens des Feindes die Taxation schon bestimmt wäre.“ Die darauf angestellte Erhebung ergab folgendes:
45 Pferde bei 22 Besitzern | mit einem Wert von 2080 Talern |
142 Ochsen bei 47 Besitzern | mit einem Wert von 5269 Talern |
337 Kühe bei 86 Besitzern | mit einem Wert von 11 119 Talern |
1 Schöps bei 1 Besitzer | mit einem Wert von 4 Talern |
28 Schweine bei 11 Besitzern | mit einem Wert von 466 Talern |
Diese Aufstellung dürfte recht interessant sein und zu Vergleichen anregen.
Nach den Angaben des Chronisten hat Schlettau keine Einquartierung gehabt. Nur an einem Vormittage sollen einmal 31 Ulanen und 200 Mann Landwehr durchgezogen sein. So blieben der Stadt Schlettau im Gegensatz zu früheren Kriegen Einquartierungslasten erspart. Aber sie leistete gern freiwillige Opfer. Man versorgte Charpie und sonstiges Verbandszeug für die Verwundeten und übermittelte es den in Frage kommenden Stellen. Auch die hiesige 1. Mädchenklasse wollte ihre Vaterlandsliebe durch die Tat beweisen und brachte aus eigenem Antriebe 1 Reichstaler 6 Ngr. auf, die an einen Dresdner Ausschuß weitergeleitet wurden. Wer denkt hierbei nicht unwillkürlich an das Gleichnis vom Scherflein der armen Witwe!
Mit größter Spannung verfolgten die Schlettauer die Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz, vernahmen von der Entscheidungsschlacht bei Königgrätz am 3. Juli und atmeten auf, als der blutige, zwischen deutschen Brüdern geführte Krieg durch den Präliminarfrieden von Nikolsburg (27. Juli) und den Frieden zu Prag (23. August), später durch den Frieden vom 22. Oktober (zwischen Sachsen und Preußen) beendet war. Wie freute sich Schlettau, als ihre Söhne, insgesamt 21, aus dem mörderischen Kampfe heimkehrten! Diese wurden am Nachmittage des 18. Novembers durch den Militärverein und die Stadtverwaltung festlich begrüßt und auf dem Marktplatze durch Gesang und Rede ehrenvoll gefeiert. Hieran schloß sich ein Festmahl in dem besonders dazu geschmückten Rathaussaale an, dem ein Ball folgte.
Der Krieg 1870/71.
Es war am 15. Juli 1870. Die Stadt hatte sich festlich geschmückt, vom Rathaus und zahlreichen anderen Gebäuden flatterten die Fahnen. Alles befand sich in freudiger Erregung; denn der König sollte abends 8 Uhr durch Schlettau kommen und durch den Bürgermeister, die übrigen Stadtvertreter, Schulen und Vereine feierlich begrüßt werden. Da brachte eine Ordonnanz die Nachricht: „Der König kommt nicht, weil der Krieg mit Frankreich bevorsteht.“
In wenigen Tagen entbrannte der Krieg, der den Traum und die Sehnsucht der Väter erfüllen sollte: Die Einigung der deutschen Stämme und die Aufrichtung des deutschen Reiches. Am 19. Juli wurde der Krieg erklärt. Preußen und Sachsen hatten sich ausgesöhnt und zogen vereint in den Kampf.
Am 21., 22. und 23. Juli verließen die Schlettauer Reservisten und Landwehrleute, sowie die aktiven Soldaten, 40 an der Zahl, ihre Heimatstadt, um sich zur Fahne zu stellen.
Freiwillig meldete sich ins Feld der dritte Sohn des Kaufmanns Naumann, namens Kurt. Seine Schwester Klara wollte als Krankenschwester mitgehen, „weil ihre drei Brüder mit im Felde seien.“
Der Kirchenvorstand beschloß, während der Dauer des Krieges Mittwochs Betstunden einzurichten.
Man hielt Kriegssammlungen, die reiche Ergebnisse zeigten. So erzählt uns der Chronist, daß der Frauenverein 63 Pfund Verbandszeug aufgebracht hatte. Eine Aufführung des Männergesangsvereins, der Liedertafel und des Musikchors ergab 11 Reichstaler, 18 Groschen, 6 Pfennige. Für die Familien der Landwehrleute und Reservisten in der Stadt wurden 37 Taler gesammelt (das 2. Mal wurden sie aus der Stadtkasse unterstützt.) Eine durch die Stadt selbst veranstaltete Sammlung brachte etwa 40 Taler ein.
Am 25. August kam der Schneider Freund, der aus Straßburg ausgewiesen war, in Schlettau an. Er wurde mit Fragen bestürmt. Besonders die Kinder hingen an seinem Munde.
Währenddessen war die Schlacht bei Wörth (6. August) geschlagen. Die Spichener Höhen waren erstürmt (an demselben Tage) und die blutigen Schlachten von Vionville-Mars-la Tour (16. August) und bei Gravelotte (18. August) erstritten worden. Ueberall war das deutsche Heer siegreich. Heller Jubel herrschte in Schlettau. Man verschlang förmlich die Zeitungen, die so herrliche Nachrichten brachten. Als aber am 3. September früh 9 Uhr die Kunde kam, daß am 2. September bei Sedan ein überwältigender Sieg erfochten und außerdem der Kaiser Napoleon gefangen sei, da wollte des Jubels kein Ende nehmen. Man flaggte die Gebäude. Abends erstrahlte die Stadt in reicher Illumination. Allein an den Fenstern des Rathauses brannten 160 Lichter.
Wer nun glaubte, der Krieg sei durch den Sieg von Sedan seinem Abschluß zugeführt, der irrte sich. Zahlreiche Schlachten, die viele Opfer kosteten, mußten noch geschlagen werden, bis endlich am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles der alte ehrwürdige König Wilhelm von Preußen zum deutschen Kaiser proklamiert und am 26. Februar 1871 der Präliminarfriede von Versailles unterzeichnet wurde.
Die Friedensnachricht, die am 27. Februar eintraf, löste unendliche Freude in Schlettau aus. Man schmückte die Häuser noch reicher als früher. Nachmittags sang die Gemeinde in der Kirche aus vollstem Herzen das Lied: Nun danket alle Gott. Abends hatte auch das kleinste Hüttchen illuminiert. Viele Transparente wurden angebracht. Die 3 Transparente des Organisten Gehlofen trugen folgende Aufschriften:
„Stehe fest, du deutsche Eiche, deine starke, blätterreiche Krone werd‘ ein schirmend Dach.“
„Klein an Raum, doch groß an Treue“ (auf Sachsen bezugnehmend).
„Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern“ (auf Deutschland [hier eine Zeile Textverlust]
Auf dem Transparent des Bürgers Albert Lehm konnte man lesen:
„Ehrendes Andenken und sanfte Ruhe den Gebliebenen, Trost und Hilfe den Hinterlassenen, baldige Genesung den Verwundeten, glückliche Heimkehr unseren tapfern Kriegern und Deutschland segensreichen und dauernden Frieden!“
Launig und spaßhaft war die Inschrift auf dem Transparente des Schießhauswirtes August Burkert:
„Mir ist der Kopf noch heute schwer
Von der vergang’nen Kriegszeit her.
Nu aber ist der Trödel aus,
Des freut sich’s ganze Schützenhaus.“
Zur Erinnerung an diesen glorreichen Frieden wurden am 12. April 1871 auf dem freien Platz vor der Kirche eine Eiche und vor der Stadt 3 Linden und eine Trauereiche gepflanzt.
Etwa 2 Monate später, am 18. Juni wurde ein großes Friedensfest unter Anteilnahme der ganzen Bevölkerung begangen, das der Chronist mit folgenden Worten schildert:
„Tags vorher schmückten die Schülerinnen der 1. Mädchenklasse die Kirche mit Kränzen und Guirlanden. Abends 8 Uhr wurde mit allen Glocken das Fest eingelauten und von den Schulkindern unter Musikbegleitung: „Nun danket alle Gott“ gesungen. Am 18. früh 8 Uhr versammelten sich die Schüler der ersten Klassen von Schlettau und Walthersdorf, die Korporationen, schützen, Turner, Feuerwehr, Behörde pp. auf dem niederen Marktplatze, wo Organist Gehlofen durch eine Rede die Fahne des Militärvereins weihte und der Männergesangverein den „hellen Edelstein“ von Julius Otto sang. Hierauf bewegte sich der Zug in die Kirche. Nach dem Gottesdienste zog die Versammlung auf den freien Platz vor der Kirche, wo P. Blumenau den Platz als Friedensplatz weihte. Sodann bewegte sich der Zug wieder auf den niederen Markt, wo alle Anwesenden den Gesang: „Nun danket alle Gott“ anstimmten. Abends vereinigten sich die Festgenossen zu einem Festmahle im Rathause.“
Am 23. Juli 1871 wurden die zurückgekehrten Schlettauer Krieger begrüßt. Bürgermeister Jungmichel hielt eine zu Herzen gehende Ansprache, die der Vorsteher des Militärvereins, August Oeser, erwiderte. Sämtliche Krieger wurden von den Jungfrauen Schlettaus mit Blumensträußen geschmückt. Dann begab man sich in das Schießhaus zu einem Festmahle, wobei manches begeisterte Wort gesprochen und viele Gedichte vorgetragen wurden. Bei diesem Festmahle war auch ein Veteran aus den Freiheitskriegen, August Sturm aus Scheibenberg, anwesend, der ergriffen den Vorgängen folgte und dessen Augen voll Stolz leuchteten über das herrliche Ergebnis des Krieges.
In diese allgemeine Freudenstimmung mischte sich nun wenig Klage und Trauer; denn die Schlettauer waren im Kriege verhältnismäßig gut davongekommen. Gestorben waren u. a. Ernst Naumann am Typhus am 13. November 1870 zu St. Amet. Meine Schlettauer Leser dürften hierüber besser Bescheid wissen als ich. Leichte Verwundungen hatten erlitten: Karl Naumann, Fritzsch, Stopp, Schreiter, Otto und Gehlert. Der erstgenannte Karl Naumann hatte sich im Kriege sehr ausgezeichnet. Er hatte für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz und den Heinrichsorden erhalten, auch war er mit der Führung einer Kompagnie beauftragt worden.
Wer diese Zeilen gelesen haben wird, wird wohl bei sich sprechen: Ja, damals war doch eine herrliche, stolze Zeit, wars eine Lust zu leben. Und heute? Ich mag nicht daran denken, die Tränen könnten einem kommen. Aber trotzdem nicht den Kopf sinken lassen! Mut verloren ist alles verloren. Wir steigen aus der Tiefe wieder herauf, wir werden wieder stark und geachtet werden in der Welt, wenn wir den Glauben an uns selbst aus seiner Verschüttung befreien und zur sieghaften, alles überwindenden Macht werden lassen. Damit muß aber verbunden sein ein „Erkenne dich selbst!“ Wir müssen wieder so werden, wie es die Väter waren, die unser altes[hier eine Zeile Textverlust]
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 20 – Sonntag, den 16. Mai 1926, S. 3