Siedlungsgeschichte im Zeugnis der Heimatsprache.

Ein Beitrag zur Heimatgeschichte.

Guido Wolf Günther, Leisnig.

Das Bild der Heimat setzt sich wie ein buntes Kirchenfenster aus vielerlei Teilchen zusammen: alte Zeiten und neues Erleben geben Farbe, Licht und Schatten. Wer um Heimaterkenntnis sich bemüht, darf keinen Anteil unbeachtet lassen, sei er auch noch so gering, denn oft erwächst aus scheinbar Nebensächlichem die Ergänzung einer wichtigen Gedankenreihe. Wenn ich in diesen Blättern und in dem Heftchen „O du meine Heimat“ den lieben Lesern schon oft berichten durfte von der Siedlungsgeschichte unserer obererzgebirgischen Heimat, so mag als Ergänzung heute der Nachweis geführt sein, daß die slavischen Siedlerelemente nicht ganz sang- und klanglos verschwunden sind, sondern in unserer Muttersprache Zeugnisse hinterlassen haben. Während die mundartfreie Schriftsprache die meisten slavischen Wortbildungen ausstieß, bewahrt die in allen Belangen erhaltungsfreudigere Volkssprache alte Formen auf und bietet damit oft wertvolle Aufschlüsse. Freilich, ganz einfach ist es nicht immer, aus den in Jahrhunderten oft bis zur Unkenntlichkeit veränderten Wörtern noch das Wurzelwort herauszulesen, und Wörterbuch und Lexikon müssen bei solchen Arbeiten fleißig helfen! Aber es macht Freude, solche heimatgeschichtliche Erkenntnisse zu finden und noch größere, die gefundenen Aufschlüsse weiterzugeben; ist doch solcher Dienst an der Heimat der beste Dank für allen Reichtum, den sie uns schenkt. —

Im Rahmen einer Zeitungsplauderei können naturgemäß nur wenige Proben gegeben werden, und diese möchten möglichst allen Lesern bekannt sein. Viele der Worte sind zudem weitumher verbreitet, wo ehemals Slaven siedelten; trotzdem werden diese Zeilen vielleicht anregen, selbst sich umzuschauen nach Wortüberresten aus der ältesten Vergangenheit unserer Heimat. —

Schon in der Schule lernen unsere Kinder, daß die Flußnamen Zschopau und Flöha slavischen Ursprunges sind und „wild, tosend, sprühend, rauchend“ bedeuten; ebenso ist die Pöhla früh zu ihrem Namen gekommen, wie auch der Pöhlberg: das slavische Wort „pole“ heißt Feld (vergl. Polen!). Daß ein Läuseberg einem Sumpf (lav. lucz) seinen Namen verdankt, und nicht den kleinen Tierchen, die gewiß schwer auf dem Berge zu sehen waren und daß der Mückenberg an den opfernden Prister (mike) erinnert und nicht an die Plagegeister, darf hier gleich angeschlossen werden. — Wenn in unseren Gärten Marunken und Gurken trotz aller Düngung mit Jauche nicht gedeihen wollen, weil es zu oft graupelt, und wenn aus mancher schönen Apfelblüte nur ein unansehnlicher Kriebs wird, dann nützt alles Paddeln im Garten nichts, gelt? Wer noch dazu recht pomadig (pomale ist langsam) ist und das Gartentor offenstehen läßt, dem werden PuttchenHusche (Gans) oder Biele (Ente) bald die Beete verderben, daß alle Mühe pfutsch ist. Läßt gar ein Halunke das Vieh los, daß Kuh-MutzschenSchöpse oder ein Baschel (Schweinchen) unsere Pflanzen verwüsten, dann hilft nur die Peitsche oder Karbatsche, um die Störenfriede loszuwerden. Freilich, der zurückgelassene Schmand und die duftenden Kaulen helfen düngen und mindern etwas den Schaden. — Ein Gang durch ein erzgebirgisches Bauernhaus bringt uns allerhand Zeugnisse vergessener Zeiten in sprachlicher Beziehung: Schon im Hofe erinnern uns SchragenKumt und Striegel an die fremdstämmigen Ursiedler. Im Milchhaus steht Quark, und die beiseitegelegten Eier verraten uns, daß die Hausfrau Plinasen oder eine Bäbe backen will. Vom Stalle her quietscht und nuschelt es, und zwischenhinein fuzt der Bauer den Knecht an, weil er mit Licht in der Scheune umher gegokelt hat. — Ehe wir die Stubentüre aufklinken, fallen wir fast über die Latschen, die allem anderen ähnlich sehen nur nicht Schuhen. — Vom Fensterbogen her didelt vergnügt ein Zeisig; unter ihm im Bäuerchen flimmert ein Stieglitz in lustigen Farben. Auf dem Sofa prahlt eine „zitscherigrüne“ Decke neben rotgewürfelten Bettziechen, unter deren Federn das Jüngste sich rote Bäckchen schläft. Voll Freude erzählt uns die Bäuerin, wie gerne das Kindchen sich „bischen“ und hätscheln läßt und wie rasch es in der „Heie“ einschläft, ohne erst lange zu tatschen (unverständlich reden). Der größere Junge pitzelt mit dem Messer an einer Kiste herum, um sich eine Hitsche zu bauen, der besseren Aussicht auf den Tisch wegen. Seine kleine Patschhand kommt freilich schwer zurecht damit, bis der gute Vater ihm beisteht. —

Soviel von bodenständigen Ausdrücken, deren Wurzelwörter dem Slavischen entstammen; angefügt seien einige Familiennamen, deren Deutung aus dem slavischen Wortschatz folgendes ergibt:

BegeBeger – der tüchtige Läufer, BodeBodenBodner – der von Gott Gegebene, BöhnischBaenischBenz – der durch Todesmut Berühmte, Diersch– der Erhalter seines Ruhmes, GöhreGöricke – der Ruhmbegierige, Kotte – der nach Frieden sich Sehnende, Immisch – der Besitzgierige, Giersch – der Frühberühmte, LiebischLiebscher – der durch Liebe Berühmte, Metzsch – der Schwertberühmte, RaschRaschkeRattke – der Ruhmliebende, RostRustig – der durch schönen Wuchs Berühmte, ZeschZach – der Kinderfreund. —

Für heute mag es genug sein des Deutens und Suchens im heimatlichen Wortschatze; denn die Plauderei möchte nur Anregung geben, selbst weiter sich zu kümmern. Wer Wegweisung sucht für solches Heimatforschen in sprachlicher Beziehung, dem seien empfohlen:

  • Chr. Schöttgen, Geographie der Sorben-Wenden.
  • Dr. Schulze, Kolonisierung und Germanisierung zwischen Saale und Elbe.
  • Dr. Hey, die slavischen Siedelungen in Sachsen.
  • Dr. Mucke, Dr. Meiche, Mitteilungen über Verdeutschung slavischer Ortsnamen und die wertvollen
  • Mitteilungen des Annaberger Geschichtsvereins.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 4 – Sonntag, den 22. Januar 1928, S. 2