Von Dr. M–r.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 33. – Sonntag, den 12. August 1928, S. 2.
Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts wirkte in Cranzahl der Pfarrer Caspar Prätorius, dessen Bildnis sich noch in der dortigen Kirche befinden soll. Vorher betreute er als protestantischer Pfarrer die Gemeinde Michelsdorf in Böhmen an der sächsischen Grenze.
Es war gegen Ausgang des dreißigjährigen Krieges, da erließ der deutsche Kaiser ein sogenanntes Reformationspatent, wonach allen Protestanten befohlen wurde, entweder katholisch zu werden oder unter Zurücklassung aller Habe und Güter auszuwandern. Es währte nicht lange und kaiserliche Boten kamen auch zu Prätorius. Sie setzten ihm hart zu, zur katholischen Kirche überzutreten, drohten ihm mit Absetzung und Einkerkerung und noch Schlimmerem. Der Pfarrherr aber blieb standhaft. Es ging ihm wider Ehre und Gewissen, seinem alten Glauben untreu zu werden. Würde nicht seine Gemeinde an ihm irre werden, wenn er, der doch ihr Hirte war und mit gutem Beispiel vorangehen sollte, sich einschüchtern ließ und ein Anhänger des Papstes würde? Als die Drohungen nichts halfen, versuchte man es auf andere Weise. Man verhieß ihm einträgliche Pfründen und ehrenvolle Ämter, wenn er seinen Sinn änderte. Prätorius aber ließ sich nicht umstimmen.
Unverrichteter Sache mußten die Boten abziehen. Sie berichteten ihrer vorgesetzten Stelle von der Hartnäckigkeit des Pfarrers, die nicht zu beugen wäre. Darauf wurde beschlossen, Prätorius durch Soldaten gefangen zu nehmen und vor ein Ketzergericht zu schleppen. Was seiner dort harrte, war ein grausames Schicksal.
Von diesem Vorhaben wurde aber Prätorius heimlich unterrichtet. Schnell entschlossen entfloh er noch in der nächsten Nacht zu einem befreundeten Steiger auf einer Zeche bei Michelsberg, der ihn als Bergmann verkleidete und in seinem Hause verbarg.
Kurze Zeit darnach rückten die Soldaten zu Michelsdorf ein, um sich des Pfarrers zu bemächtigen. Als sie das Pfarrhaus leer fanden, suchten sie das Dorf und die ganze Umgegend nach dem Flüchtling ab, konnten aber seiner nicht habhaft werden. Schon wollten sie von der Verfolgung ablassen, da wurde ihnen in letzter Stunde zugetragen, man habe beobachtet, daß der Pfarrer den Weg nach dem Hause des Steigers zu eingeschlagen habe. Wahrscheinlich halte er sich bei diesem auf, was um so mehr zu vermuten sei, als der Steiger ein Freund des Pfarrers sei. Gleichzeitig wurde den Soldaten beschrieben, wie der Pfarrer ungefähr aussehe.
Eilends begaben sich nun die Häscher nach dem Hause des Steigers. Mit barscher Stimme forderten sie ihn auf, den Pfarrer, den er versteckt halte, ihnen auszuliefern. Der wackere Steiger aber erklärte, daß der Pfarrer nicht zu ihm gekommen sei. Er habe zwar auch gehört, daß Prätorius das Dorf verlassen habe, wohin er sich aber gewendet habe, wisse er nicht. In seinem Hause sei er jedenfalls nicht. Es stehe ihnen frei, alle Räume zu durchsuchen. Sie würden nur auf seine Familienangehörigen und die ihm untergebenen Bergleute stoßen.
Schon wollten sich die Soldaten wieder entfernen, da betrat auf einmal Prätorius die Stube. Er hatte von der Anwesenheit seiner Verfolger nichts erfahren und wollte dem Steiger nur etwas mitteilen. Die Soldaten merkten auf. Paßten nicht Gesicht und Gestalt auf die Beschreibung, die man ihnen von dem Pfarrer gegeben hatte? Endlich haben wir ihn, der uns zu entkommen zu sein schien. Schon machten sie Miene, sich auf ihn zu stürzen, als schnell der Steiger auf ihn zuschritt, ihm eine Ohrfeige versetzte und mit den Worten: „Was hast du hier aufschnappen! Pack dich an deine Arbeit!” aus dem Zimmer hinausstieß. Nun wurden die Soldaten stutzig: Dieser Mann kann wohl doch nicht der Pfarrer gewesen sein. Wie hätte ihm sonst der Steiger eine Ohrfeige geben können. Er ist uns also doch entwischt. Unter Flüchen stampften sie aus dem Haus, um schweren Herzens in ihr Quartier zurückzukehren und ihrem strengen Hauptmann zu berichten, daß der Pfarrer spurlos verschwunden sei.
Wer aber war froher als der Pfarrer! Wie freute sich aber auch der wackere Steiger, daß es ihm durch seine Geistesgegenwart geglückt war, den Pfarrherrn zu retten. Freilich tat es ihm leid, daß er ihn so unziemlich behandelt hatte, weshalb er vielmals um Verzeihung bat. Prätorius aber wollte nichts von solcher Rede hören, sondern dankte herzlichst seinem Retter. Er nahm gerührt von ihm Abschied und entwich unbemerkt über die Grenze nach Sachsen, wo er einige Zeit später die Pfarrstelle in Cranzahl erhielt.