Wie ich zu meinen Liedern kam.

(Von Anton Günther selbst erzählt.)

Es kommt oft vor, daß mich der eine oder der andere fragt: „Soch mr när amol, Gonger, wie da angtlich die Liedla asu machst?“ Da kann ich weiter nichts zur Antwort geben, als: „Mei ganz Labn is drah schuld, denn es muß schu asu sei!“ Ich habe weder studiert, noch Musik erlernt, bloß bei einem alten ausgedienten Soldaten, beim alten Süß Julius, später beim Heim Anton und beim Vetter Traugott habe ich die Noten und etwas Geigespielen gelernt. Das kostete monatlich einen Gulden; aber wir alle, meine Eltern und Geschwister, waren musikalisch veranlagt, und so kam es, daß ich bald leichte Weisen nach dem Gehör nachspielen konnte. Meine Lieder entstehen, ohne daß ich die Absicht habe, solche hervorzubringen. Was mich drückt, was mich quält oder was mich freut, kommt zum Ausdruck, je nach der Gemütsstimmung.

Zu jener Zeit, da noch selten ein Fremder in unsere Gegend kam, war in der jetzigen Sommerfrische „Neues Haus“, einem Grenzwirtshaus zwischen Gottesgab und Oberwiesenthal, allsonntäglich Tanz, wo mein Vater die Ziehharmonika spielte. Das alte Scherber-Trautl, eine achtzigjährige Frau, die manches Lied sang und manches Glas Bier vertragen konnte, begleitete ihn auf der Harfe.

Ich trug manchesmal die Ziehharmonika nach dem „Neuen Haus“, und gerne gedenke ich noch jener gemütlichen, ruhigen und schönen Zeiten, wo die Oberwiesenthaler und die Gottesgaber jungen Leute auf dem kleinen Tanzboden an Sonn- und Feiertagen zusammenkamen. Drei Ziegen, die wir hatten, mußten wir Jungen hüten; wir schleppten Holz aus dem Walde herbei und holten Schwämme und Beeren, sodaß wir in der Umgegend mit jedem Fleckchen vertraut waren. Als ich zwölf Jahre alt war (ich wurde am 5. Juni 1876 geboren), starb unserer gute Mutter, die sich, ach, soviel plagen mußte, um und heranzuziehen, denn wir brauchten in der Woche 16 bis 18 Laib Brot, da wir zumeist nichts anderes hatten als Brot und Kartoffeln.

Semmeln gab es nie oder ganz selten; am Sonntag war immer sogenanntes Weißbrot, natürlich trocken; aber wie gut schmeckte es! Wenn am Sonnabend die Mutter aus Joachimsthal ein Stückchen Wurst mitbrachte, da wurde ein großer Topf Erdäpfelbrei gekocht und oben darauf bekam jedes Kind ein dünnes Scheibchen Wurst. Den Eltern, besonders dem Vater, tat oftmals das Herz weh, wenn er teilen sollte. Nun war die Mutter tot. Da saß nun der Vater da mit sieben unversorgten Kindern und mit seiner Mutter, der alten Großmutter.

Ich kam dann später, als ich ausgelernt hatte, nach Prag und trat in die k. k. Hoflithographie A. Haase ein. Andere Verhältnisse, andere Menschen, alles kalt und fremd. Wohlfühlen konnte ich mich in der Großstadt nie, mir fehlte die Heimat mit ihren Bergen und Wäldern.

Da fand sich ein Häuflein Gottesgaber zusammen, die einen sogenannten „Gutsgewer Omd“ gründeten, an dem wir jede Woche zusammen kamen, Lieder sangen und von der Heimat erzählten. Ich konnte damals Gitarre spielen, was ich selbst erlernte. Wir feuerten einander an, im Kampfe um unser Deutschtum auszuharren, und redeten nur in unserer Mundart. Wer damals ein fremdes Wort oder hochdeutsch redete, mußte einen Kreuzer Strafe zahlen, deren Ergebnis als Weihnachtsspende für die Armen in der Heimat verwendet wurde. Obwohl wir alle so sehr an unsere Heimatscholle hingen, so konnten wir doch nicht zu Hause bleiben, da uns dort der Verdienst fehlte. Wir sangen die meisten deutschen Volkslieder, aber eines fehlte uns, ein Lied in unserer Mundart. Und siehe da, ich weiß selbst nicht, wie es kam, ich war gerade beim Gravieren, da summte mir eine Melodie durchs Gemüt, meine Gedanken waren im alten Elternhäusel daheim und ein Lied war fertig. Ich brachte es zu Papier.

Es war mein erstes Lied „Drham is drham“. Mir war, als sei mir ein Stein vom Herzen gefallen, und je mehr später Lieder entstanden, desto leichter wurde mir. Als mir wieder beim Gutsgewer Omd beisammen saßen und Lieder sangen, sang ich unter anderem auch und zwar zum ersten Male das Lied „Drham is drham“. Welche Freude ich damit meinen Landsleuten machte, ist daraus zu ersehen, daß ich das Lied immer und immer wieder singen mußte. Jedem sollte ich das Lied abschreiben, das war mir aber zu viel. Ich habe es autographiert in Postkartenform und ließ 100 Stück drucken, die wir dann meist in die Heimat schickten. Alles war erfreut darüber; und als ich zu Weihnachten auf Urlaub zu Hause war, mußte ich überall das Lied singen. Im Konzerte des Gottesgaber Gesangvereins am 1. Weihnachtsfeiertage wurde es mit einer solchen Begeisterung aufgenommen, daß ich darüber tiefgerührt war. Alle verlangten das Lied und sangen es bald mit. Da kam mir ein glücklicher Gedanke. Mein Vater, der damals, um einen Erwerb zu haben, den Hausierhandel mit Unterstützung meines jüngeren Bruders Julius betrieb (ein beschwerlicher Beruf, besonders im langen Winter), konnte nicht viel damit verdienen. Ich ließ 100 Stück Liederpostkarten drucken und schickte sie meinem Vater, der sie mit meinem jüngeren Bruder verkaufte. Im Anfange ging es natürlich schwer, da es doch etwas eigenartiges war. Ich selbst traute mich nicht, unter das Lied meinen Namen zu setzen, weil es in Mundart geschrieben war. Mit der Zeit entstand ein Liedl nach dem anderen.

Viele Ehren wurden mir zu teil, jedoch die größte Ehre war für mich, als ich im Winter 1906 und im Sommer 1907 mehrere Lieder vor Sr. Majestät dem König Friedrich August von Sachsen singen durfte, als er den Fichtelberg besuchte. Der König erfreute sich sichtlich an meinen Liedern, insbesondere gefiel ihm das Lied:

Wu da Wälder hamlich rauschn,
Wu da Haad su rötlich blüht,
Mit kan Känsch mächt ich tauschn,
Weil do drubn mei Heisl stieht,

das er selbst verlegte.

Im anderen Jahre darauf hatte ich wieder die Ehre, vor Sr. k. u. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Karl Franz Joseph am Keilberg, anläßlich der Eröffnung der Kaiser Franz Joseph-Jubiläumsausstellung mehrere Lieder vorzutragen, wo er unter anderem wörtlich sagte: „Einige Lieder kenne ich schon von meinen Dragonern aus, denn es sind viele Erzgebirgler darunter.“ Das waren glückliche Stunden für mich und für uns alle, denn so etwas hätte ich mir nie träumen lassen, daß unsere einfache Mundart, meine schlichten Lieder, bei so hohen Fürstlichkeiten Beifall fanden.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 23 – Sonntag, den 6. Juni 1926, S. 2